1957, als in der Mode gerade sehr viel Wert auf hohe Absätze und schmale Taillen gelegt wurde und als die Medien viel über Körpermaße berichteten, kam ein extremer Fall von privat praktiziertem tight-lacing ins Licht der Öffentlichkeit; es waren die Wochenzeitungen, die darüber berichteten. William Granger aus Peterborough in England, ein recht bedeutender Amateur-Astronom, wurde zu einer Fernsehsendung eingeladen, um ein von ihm aufgenommenes Photo eines Kometen vorzuführen und zu kommentieren. Seine Frau Ethel begleitete ihn ins Studio, und ihre Taille war bald Auslöser angeregter Gespräche und Gegenstand von Wetten um beträchtliche Summen. Auch eine Filmproduzentin, die erst kurz zuvor in Zusammenarbeit mit Doris Langley Moore, einer Expertin für historische Kleidung und Mode, einen Film gemacht hatte. Von Doris Langley Moore war damals allgemein bekannt, daß sie eine Taillenweite von 18'', die es ja damals tatsächlich gab, von den körperlichen Gegebenheiten für ein Ding der Unmöglichkeit hielt und deren Existenz deshalb - ketzerisch - bestritt.
Die erwähnte Filmproduzentin machte Marjorie Proops, eine engagierte Modereporterin von dem Woman's Sunday Mirror, die auch zwei Jahre zuvor ihrer Bestürzung über das korsettähnliche Kleid von Jacques Fath Ausdruck gegeben hatte, auf die schmale Taille von Ethel Granger aufmerksam. Marjorie Proops leistet wichtige Vorarbeit, indem sie am 12. Mai auf über einer Seite die Ergebnisse umfangreicher Nachforschungen zu dem Thema ''Kann ein Mädchen eine Taillenweite von 17'' (43,2 cm) haben?'' veröffentlichte.
Auf der Liste der zu diesem Thema befragten standen unter anderen ein Modedesigner, eine Kleiderhersteller, ein Modephotograph, ein Arzt, zwei Historiker und der Chef einer Model-Agentur. Die einstimmige Auffassung lautete, daß eine 17''- Taille gegenwärtig eine körperliche Abnormität sei und auch im Beruf Nachteile bringen würde. Die Schauspielerin Sabrina (vgl. pl. 82) wurde als mißgebildet betrachtet und deswegen entlassen. Die beiden Historiker (Laver & Moore) bestritten, daß eine solche Taille jemals existiert haben könnte, mit Ausnahme von Polaire's, die sie aber ebenfalls als Mißgeburt bezeichneten. Der Chef der Model-Agentur sagte, daß in seinen Büchern nur ein Mädchen - Pamela Styche, 89-46-89 - annähernd diese unglaubliche Taillenweite hatte, und daß sie deshalb Schwierigkeiten hatte, Arbeit zu finden (was sehr verwunderlich ist, wenn man bedenkt, daß sie beinahe die Maße der Standard-Schaufensterpuppen hatte). Paradoxerweise war es der Sprecher der British Medical Association (britische Ärztevereinigung), der es erstens für möglich hielt, daß eine Taillenweite von 18'' früher recht verbreitet gewesen war und der (was noch widersprüchlicher scheint) zweitens vom medizinischen Standpunkt her nichts gegen eine solche einzuwenden hatte. Der letzte Satz richtete sich speziell an Doris Langley Moore: ''Wenn Sie ein Mädchen kennen, das es fertigbringt, sich auf 17'' zu schnüren und dabei noch frei zu atmen, so würde ich dieses Mädchen gerne kennenlernen.''
Am 16. Juni erfüllte Marjorie Proops ihren Teil des Handels, sie tat sogar mehr als das, als sie einen Artikel schrieb mit der Überschrift ''Ist dies die schmalste Taille der Welt? Die Taille von Ethel Granger mißt nur 35,6 cm (14'').'' Ein Photo von Ethel zeigte sie, wie sie ein Maßband um ihre Taille hielt, um diese Aussage zu beweisen (pl. 67). Die Frau mit der Wespentaille wollte sich anscheinend nicht genau äußern und erklärte ihre Taillenweite damit, daß ihre Körpermitte seit ihrem 23sten Lebensjahr, wo sie 58,4 cm (23'') betragen hatte, stetig schmäler geworden sei und immer noch schmäler zu werden schien. ''Ich frage mich, wie schmal meine Taille werden wird'' sagte sie noch, als ob das ein unkontrollierbaren Phänomen sei, wie ein langsam verschwindender Stern vor der Teleskoplinse ihres Mannes. Kurz vor dem Krieg hatte ich eine Taillenweite von 33 cm (13''), aber ich weiß nicht, ob ich sie wieder so schmal haben möchte. Die Leute starren so schon genug.''
Außer dem Woman's Sunday Mirror nahmen auch Empire News und Sunday Chronicle, zwei weitere Wochenzeitungen mit großer Auflage, diese Story auf und berichteten am selben Tag - einem Sonntag - darüber, und zwar unter der Überschrift ''Sie ist 52 und OH! Was für eine tolle Taille Ethel hat!''. Andere, vielgelesene Zeitungen wie Daily Sketch und Sunday Graphic sowie eine australische Zeitung erwähnten Mrs. Granger ebenfalls. Am 26 Februar 1957 veröffentlichte das kommunistische Blatt Daily Worker im Rahmen eines Artikels über die Beobachtung eines Kometen eine Photographie von Will (einem Parteimitglied) und Ethel im Observatorium, aber die linke Leserschaft reagierte nicht auf die doch auffallende Wespentaille.
Zwei Jahre später (am 18. Juni 1959) geriet Mrs. Granger wieder ins Licht der Öffentlichkeit, als ihr die populäre Wochenzeitung Reveille mehr als eine Seite widmete. Diesmal klang die Überschrift um eine Einheit besser: 13 ZOLL TAILLENWEITE - HAUSFRAU ERREICHT EHRGEIZIGES ZIEL. ''Seit Jahren verschmälere ich meine Taille um ein Zoll nach dem anderen, und in einem Jahr werde ich die 12-Zoll-Marke (30,5 cm) erreicht haben.'' Mrs. Granger bekannte nun erstmals öffentlich, daß ihre Taille weder ein natürliches Phänomen noch das Ergebnis einer Diät oder sportlicher Übungen war, sondern das Produkt systematischen tight-lacings, das sie durchführte, um ihrem Mann zu gefallen. Sie bekam einen ehrenvollen Platz in der Reihe berühmter historischer Frauen mit Wespentaille, zu denen Cathérine de Medici, Polaire und die vielen Frauen aus der viktorianischen Ära und der Zeit Edwards zählten. In dem Artikel wird noch erwähnt, daß diese Frauen damit ihre Lebenserwartung auf 35 Jahre herunterschraubten.
Ab diesem Zeitpunkt waren die Grangers national und sogar international bekannt, und aus der ganzen Welt bekamen sie Zuschriften in ihr kleines Haus nach Peterborough. Gegen Ende der 60er hatten sie Auftritte im Fernsehen und im Radio und wurden so noch bekannter. Am 6. Januar 1968 wurde die Granger-Story durch den Associated Press International wire service auf der ganzen Erdkugel verbreitet, dabei war auch ein Photo mit dem kuriosen Kommentar: ''während die meisten Frauen eine andere beneiden, wenn sie 13-Zoll-Waden hat, kann Mrs. Ethel Granger mit einer 13-Zoll-Taille aufwarten''. Noir et Blanc, eine französische Wochenzeitung, brachte am 23. November ebenfalls einen Bericht, wobei man ganz unvoreingenommen die Worte ''fetischistisch'' und ''Fetischismus'' gebrauchte, was bei den zurückhaltenderen englischen Zeitungen gänzlich unüblich war. Ein Eintrag in einer extra zu diesem Zweck geschaffenen Kategorie im Guiness-Buch der Weltrekorde sollte diese außergewöhnliche Leistung immer wieder ins Bewußtsein der Öffentlichkeit rücken (auch Polaire stand darin, doch die beiden lebten zu unterschiedlichen Zeiten). Der stolze Ehemann nahm den Paß seiner Frau und ließ unter der Rubrik 'Besondere Merkmale' eintragen: ''schmalste Taille der Welt''. Erneut erhielten die Grangers eine Flut von Briefen aus der ganzen Welt, deren Schreiber Interesse und Bewunderung ausdrückten, manche davon waren einfach an ''Ethel Granger, 13-Zoll-Taille, Peterborough, England'' gerichtet. Männer, in denen diese Leidenschaft ein ganzes Leben lang geschlummert hatte, wollten nun unbedingt ihre Begeisterung zu Papier bringen.
In ihrer Heimatstadt war Ethel mit ihrer besonders schmalen Taille schon zu einem gewohnten Anblick geworden, und zwar seit kurz nach dem zweiten Weltkrieg, wo sie begann, ihre Figur in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie hatte gelernt, mit den kleineren Störungen des Straßenverkehrs umzugehen, die sie verursachte, wenn sie mit ihrem Motorrad die 'High Street' entlangfuhr, sie hatte sich auch daran gewöhnt, daß die Menschen ihr folgten, wenn sie mit ihrem Mann (niemals alleine) durch das Stadtzentrum Londons ging, sie nahm auch geradezu überschäumende Reaktionen hin - als die beiden nach Frankreich reisten und Paris besuchten, verursachten sie ohrenbetäubendes Bremsenquietschen und die meisten der Fahrer hingen halb aus ihren Fenstern und starrten auf die Taille.
Das lebenslange Ziel der beiden, das sie auch nie aus den Augen verloren, hat William Granger in nüchternen, sachlichen und einfachen Worten in einer 34seitigen Broschüre niedergeschrieben, die er 1961 privat in Kalifornien drucken ließ (jetzt befindet sich diese Broschüre in öffentlichen Büchereien; vgl. S. xii. Ein getippter Bericht seines Lebensabends existiert ebenfalls). Die Richtigkeit der persönlichen und technischen Details ist unleugbar; er skizziert zunächst kurz den sozialen und geschichtlichen Hintergrund und beschreibt dann sein allmähliches, sanftes, aber doch grausames Ausfechten eines realen, aber nicht ständig vorhandenen Konfliktes und den Widerstreit von Ethels Wünschen und Empfindungen während der verschiedenen Phasen. Sie wußten beide nicht recht, ob sie ihrem Instinkt folgen und ihre Leidenschaft geheimhalten sollten oder ob sie dem ebenfalls vorhandenen Wunsch, die Taille in der Öffentlichkeit zu zeigen, nachgeben sollten, wodurch sie noch mehr soziales Unverständnis hätten ertragen müssen als ihnen von Verwandten und Freunden sowieso schon entgegengebracht wurde. Will beschönigt die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit nicht, aber es zeigt sich, daß diese relativ gering sind. Er beschreibt auch detailliert die Rückschläge durch den Krieg, durch Schwangerschaft und durch den Pfusch einer Korsettschneiderin. In dem ganzen Text findet sich nicht der geringste Ausdruck eines Zweifels daran, daß all das Schnüren ..., so barbarisch es auch scheinen mag, sich wirklich lohnt und daß es ihre Ehe, die niemals in Gefahr war, im emotionalen und physischen Bereich stark zusammenhielt. Will sagt sogar, daß ihr Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Jahren immer stärker wurde, und daß ihr Sexualleben mit steigendem Alter immer erfüllter geworden sei, besonders seit der Öffentlichkeitsarbeit in den sechziger Jahren.