Interviews zum Thema Taillenweiten Taillenweiten Verkäuferinnen (1893)
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Taillenweiten und Korsetts in Leserbriefen (1880-1890)

Aus David Kunzle: ''Fashion and Fetishism''

Das beste Beispiel dafür, daß jemand als alltägliche Taillenweite 13 Zoll trug, stammt von einer ungewöhnlichen Quelle: aus den Memoiren des angesehenen Militärgenerals Sir Ian Hamilton (S. 191 und 204; er bezieht sich auf das Jahr 1870): ''...in Roselea, einem schönen Ort, wo viele Rosen wuchsen, war die Familie des Alexander Dennistoun - dazu gehörten auch einige hübsche Töchter: Edith, Augusta, Katty und Beryl, jede von ihnen war groß, schön anzusehen und geschmeidig in ihren Bewegungen, obgleich sie - Katty mit 14 Zoll und die anderen mit 15 Zoll - die schmalsten Taillen in ganz Schottland besaßen. Die jungen Mädchen von heute mögen erstaunt die Augenbrauen hochziehen, es ist aber nicht nur so, daß man mir das immer wieder sagte, nein, ich habe selbst diese Umfänge nachgemessen und sollte es daher wissen. ''Komm, Katerina!'' rief ich eines schönen Nachmittags in Armadale der liebreizenden Katty Dennistoun zu, als sie - eine traumhafte Schönheit mit ihrer 14-Zoll-Taille, ihrem vollen, glänzenden Haar, das zu einer königlich anmutenden Lockenkrone aufgetürmt war - mit dem Crocket-Schlagholz in der Hand unter einem Goldregen stand.

Der folgende Briefausschnitt stammt von dem gleichen Autor wie diese kleine Anekdote, er wurde am 7. Juni 1939 in Hyde Park Gardens, W. 2. geschrieben und war bestimmt für Sir Basil Liddell-Hart: ''Einige Zeilen zu zwei Ihrer Fragen. Die erste betraf die 14-Zoll-Taille meiner lieben Freundin Kattie Dennistoun, deren Photo ich diesem Brief beilege. Viele würden sich dafür verbürgen, daß es wahr ist. Kattie's Taille mißt 14 Zoll und die ihrer Schwestern je 15 Zoll. Sie heiratete Sir Marteine Lloyd (von dem man zu Zeiten auch in Who's Who lesen kann)...Schicken Sie mir die Photographie unverzüglich zurück.'' Aus einem anderen Brief an Liddell-Hart vom 7. Oktober 1939 (der eine weitere Photographie von Kattie enthielt, die in den '90ern aufgenommen worden war): ''Auf diesem Bild hat Kattie drei Geburten hinter sich. Man sieht noch die Spuren der 14-Zoll-Taille.''

Medicus, ein 70-jähriger Arzt, der seinen Beruf gerade in der Zeit ausübte, als das Eng-Schnüren groß in Mode war und dem selbiges auch sympathisch war, schrieb einen ungewöhnlichen, aber authentisch klingenden Brief an New Fun (30. Januar 1915, S. 14). Er bezeugte, einige Frauen gekannt zu haben, die sich extrem eng schnürten, als bemerkenswert erwähnte er die Patientin eines seiner Kollegen, die aufgrund des Eng-Schnürens gestorben war, sie maß in geschnürtem Zustand 11,5 Zoll (29,2 cm) um die Taille. ''Ich habe einige Patientinnen mit 16-Zoll-Taillen (40,6 cm) gehabt, auch 17 (43,2 cm) und 18 Zoll (45,8 cm) waren sehr häufig.'' Die extremsten Fälle waren meist unter irischen Mädchen zu finden. Eine österreichische Gräfin stellte einen Rekord auf, bei einer Größe von 67 Zoll (1,70m) betrug ihr Brustumfang 35,5 Zoll (90,2 cm), ihr Hüftumfang 38,25 Zoll (97,2 cm), ihre Taille ohne Korsett 18,75 Zoll (47,6 cm) und ihre geschnürte Taille 12,5 Zoll (31,8 cm). Medicus erinnerte sich auch daran, daß einige Geschäfte im West End ihre Verkäuferinnen im Eng-Schnüren unterstützten und sie dazu sehr ermutigten (vgl. weiter unten).

Während des Krieges veränderten sich die Maßangaben in Leserbriefen und sonstigen Veröffentlichungen kaum, man schenkte ihnen auch nach wie vor Glauben. Die meisten Korsettschneiderinnen und Verkäuferinnen, die von ihren Erfahrungen aus der Zeit vor dem Krieg berichteten, setzten die untere Grenze bei etwa 15 Zoll (38,1 cm) fest. In einem langen und glaubwürdigen Brief des Korsettschneiders Lawrence Lenton (Bits of Fun, 3. Januar 1920), der behauptete, ''tausende von Kundinnen gehabt und mehr Wespentaillenkorsetts als irgend jemand anders auf der Welt geschneidert zu haben,'' schreibt er, daß er im Laufe der letzten zehn Jahre weniger als ein Dutzend der Größe 13 Zoll (33,2 cm) gemacht habe. In Leserbriefen des London Life während des Krieges wird, anders als in den Jahren vor dem Krieg, oft die 10-Zoll-Taille erwähnt. Sie scheint auf manche Leser eine magische Anziehungskraft ausgeübt zu haben, denn sie gaben falsche Referenzstellen in Büchern an, die angeblich bewiesen, daß es 10-Zoll-Taillen gegeben hatte und führten eigene Daten an, die ihrer Phantasie entstammten, worin sie behaupteten, selbst jemanden mit einer 10-Zoll-Taille zu kennen. Rationalere Leser überschütteten sie mit Spott und Hohn. Wenn man die Verkaufsangebote, Kaufgesuche und Tauschgeschäfte im London Life durchliest - von dieser Kolumne wurde 1934 reger Gebrauch gemacht - so kann man daraus schließen, daß sich nur wenige Leserinnen auf weniger als 20 Zoll schnürten.

Im viktorianischen Zeitalter wollten die Leserbriefschreiber(innen) ihren Brust- und Hüftumfang nicht preisgeben. Nur einige wenige Leser(innen) des Family Doctor, die sich eng schnürten, gaben diese Maße mit etwa 34-35 Zoll (86,4 - 88,9 cm)an, sie waren offensichtlich schmal gebaut. Als sie mit dem Eng-Schnüren begannen, lag der Unterschied zwischen Brust- bzw. Hüftumfang und Taillenweite bei etwa 8 Zoll (20,3 cm), später dann betrug er in etwa 18 Zoll (45,7 cm). Die Größe wurde nur sehr selten erwähnt, aber eines scheint sicher zu sein: Die 'Eng-Schnürer(innen)' waren durchschnittlich groß. Vier Schwestern (F.L.M., 23. Februar 1889), allesamt ziemlich groß (um die 66 Zoll, das sind 1,68m), hatten Brust- bzw. Hüftweiten zwischen 33 und 34 Zoll (83,8 -86,4 cm), ihre Taillenweiten betrugen zwischen 14 und 16 Zoll (35,6 - 40,6 cm), sie wurden allesamt seit ihrem zwölften Lebensjahr an das Eng-Schnüren gewöhnt. Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Meinung waren die Frauen in der Mitte und am Ende des 19ten Jahrhunderts keineswegs kleiner als heute; die Zeitungen antworteten auf Leserfragen, daß man mit 65 Zoll (1,65m) schon als groß betrachtet würde und daß 63 Zoll (1,60m) eine durchschnittliche Größe sei. Dies ist auch bestätigt durch die Kriegskleidung von Doris Langley Moore. Nach Meinung der Modereformer waren eine Größe von 65 Zoll (1,65m), ein Brustumfang von 31 Zoll (78,8 cm), eine Taillenweite von 26,5 Zoll (67 cm) und ein Hüftumfang von 35 Zoll (89 cm) die idealen ''Proportionen'' (Steele, S. 72).

Die meisten Leserbriefschreiber erwähnen auch das Problem der 'äußeren' Korsettmaße im Gegensatz zu den 'inneren'. Wenn die angegebenen Maße der Korsettgröße entsprechen, so könnten diese 'äußeren' Maße zwischen einem und drei oder gar vier Zoll größer sein als die eigentliche Taille, und zwar hängt das von drei Faktoren ab: einmal von der Unterwäsche, dann davon, wie weit sich das Korsett ausgedehnt hat beim Tragen und schließlich auch davon, wie weit es am Rücken noch offen ist. Dieser letzte Faktor beinhaltete den größten Spielraum, doch war es nicht ratsam, das Korsett mehr als zwei Zoll (5,08 cm) weit offen zu lassen, weil dadurch das Material aufgescheuert und die Korsettstangen verbogen werden konnten. Diejenigen, welche ihr Korsett stets gewissenhaft ganz zuschnürten, machten vermutlich die verläßlichsten Maßangaben; andere erlaubten es sich je nach Gelegenheit und Laune, das Korsett verschieden weit zu tragen und gaben wahrscheinlich Minimalwerte oder momentane Maße an.

In der Einführung sprachen wir schon von der Neigung der Eng-Schnürenden, ihre Unterwäsche auf ein Minimum zu reduzieren. Der Unterschied zwischen dem Umfang über dem Korsett und dem über dem Kleid war bei Eng-Schnürenden beträchtlich geringer als das allgemein angenommene Minimum von zwei Zoll (5,08 cm). Eine junge Frau, die sich begeistert einer intensiven/radikalen Schnürungsmethode unterzog, entdeckte, daß sie allein durch Ablegen eines Teiles ihrer Unterwäsche und durch Ersetzen einiger Wäschestücke durch andere ihre Taillenweite um zwei Zoll verringern konnte. Vier extreme Eng-Schnürende gaben bei verschiedenen Gelegenheiten beide Maße an, über dem Korsett und über dem Kleid; der Unterschied betrug genau 1 Zoll (2,54 cm).

Summa summarum: am Ende der 1880er Jahre gab es, wenn man vorsichtig kalkuliert, allein in London einige tausend Frauen, die sich enger als 20 Zoll schnürten; Hunderte unter 18; Dutzende unter 15. Dies sind zugegebenermaßen nicht viele, wenn man bedenkt, daß es wohl so eine Million junger Frauen gab. Die Aufmerksamkeit und Berühmtheit, die sie gegen Ende des Jahrhunderts erlangten, hatten sie der Werbung und persönlichen Beispielen zu verdanken.


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